Gesetz zur Einführung eines Leitentscheidungsverfahrens beim Bundesgerichtshof
Offizieller Titel: | Gesetz zur Einführung eines Leitentscheidungsverfahrens beim Bundesgerichtshof |
Initiator: | Bundesministerium für Justiz |
Status: | In der Ausschussberatung (2./3. Beratung geplant für kommende Sitzungswoche) |
Letzte Änderung: | 13.12.2023 |
Drucksache: | 20/8762 (PDF-Download) |
Gesetztyp: | Einspruchsgesetz |
Hinweis: | Das Justizministerium möchte hier über eine Formulierungshilfe noch eine Änderung des Handelsgesetzbuches anhängen: Vorhabenseite BMJ |
Diese Zusammenfassung wurde mit GPT4 auf Basis des Gesetzentwurfs erstellt.
Basisinformationen
Das wesentliche Ziel des Gesetzentwurfs ist die Einführung eines Leitentscheidungsverfahrens beim Bundesgerichtshof, um eine effizientere Erledigung von Massenverfahren zu ermöglichen. Im Falle von Massenklagen können nun entscheidungserhebliche Rechtsfragen durch den Bundesgerichtshof geklärt werden, selbst wenn Revisionen zurückgenommen werden oder ein Verfahren sich anderweitig erledigt. Dies soll zu einer Entlastung der Zivilgerichte und zu einer erhöhten Rechtssicherheit beitragen. Federführend für den Entwurf ist das Bundesministerium der Justiz.
Hintergrund
Als Hintergrundinformationen wird geschildert, dass Massenverfahren, wie sie beispielsweise im Diesel-Skandal oder bei unzulässigen Vertragsklauseln auftreten, eine große Belastung für die Zivilgerichte darstellen. Es gab intensive Gespräche über diesen Themenbereich innerhalb einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe und Empfehlungen von Präsidentinnen und Präsidenten der Oberlandesgerichte, des Kammergerichts, des Bayerischen Obersten Landesgerichts und des Bundesgerichtshofs zur Einführung von Leitentscheidungen.
Kosten
Für den Bundeshaushalt und die Länder entstehen keine zusätzlichen Haushaltsausgaben durch die geplanten Regelungen. Für den Bundesgerichtshof wird ein geringfügiger Mehraufwand angegeben, der allerdings aufgrund der Entlastungen nicht ins Gewicht fällt. Einnahmen werden nicht erwartet, es wird aber von Einsparungen bei Bürgern, der Wirtschaft und den Gerichten ausgegangen.
Inkrafttreten
Zum genauen Datum des Inkrafttretens des Gesetzes sind keine Angaben vorhanden.
Sonstiges
Der Gesetzentwurf sieht vor, dass Bürgerinnen und Bürger sowie die Wirtschaft durch das neue Verfahren entlastet und Richtlinien für parallele Fälle gesetzt werden. Des Weiteren ist das Leitentscheidungsverfahren ohne formale Bindungswirkung und es sind Erweiterungen der Aussetzungsvorschriften geplant. Dies soll zur Erhöhung der Rechtssicherheit und zur Reduzierung des zeitlichen Aufwands und der Kosten der Rechtsverfolgung führen. Der Gesetzentwurf soll fünf Jahre nach Inkrafttreten evaluiert werden, um dessen Auswirkungen zu überprüfen. Ein besonderes Eilbedürfnis wird im Entwurf nicht erwähnt.
Maßnahmen:
Die wesentlichen Maßnahmen des Gesetzentwurfs sind:
- Einführung einer neuen Regelung zur Leitentscheidung (§ 552b), durch die das Revisionsgericht auch nach Rücknahme der Revision zu grundsätzlichen Rechtsfragen Stellung nehmen kann, die für viele Verfahren relevant sind.
- Möglichkeit zur Aussetzung von Verfahren durch Zivilgerichte (§ 148 Absatz 4), abhängig von mindestens einer Rechtsfrage, die Gegenstand eines Leitentscheidungsverfahrens ist.
- Zusammenfassung der Regelungen des bisherigen § 555 und § 565 ZPO a. F. in einer Vorschrift (§ 555) und Anpassung dieser Regelung an die Leitentscheidung.
- Festlegung, dass das Leitentscheidungsverfahren Teil des Revisionsverfahrens ist und somit die anwaltliche Tätigkeit mit der Gebühr für das Revisionsverfahren abgegolten ist (Änderung des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes).
- Ausschluss der Anwendung der Regelungen zum Leitentscheidungsverfahren in der Arbeitsgerichtsbarkeit, Sozialgerichtsbarkeit, Verwaltungsgerichtsbarkeit und Finanzgerichtsbarkeit.
- Inkrafttreten der Regelungen am Tag nach der Verkündung.
Stellungnahmen:
Zum Gesetzentwurf haben der Nationale Normenkontrollrat und der Bundesrat Stellung genommen.
Der Nationale Normenkontrollrat prüfte den Entwurf und fasste die Ergebnisse in einer detaillierten Kosteneinschätzung zusammen, die erhebliche Entlastungen für Bürgerinnen, Bürger und die Wirtschaft sieht. Es wird von einer Zeitersparnis von rund -67.000 Stunden und Sachkostenentlastung von rund -38,3 Mio. Euro für Bürgerinnen und Bürger und einer Kosteneinsparung von rund -42,7 Mio. Euro für die Wirtschaft ausgegangen. Zusätzlich erwartet man eingesparte Gerichtsgebühren in Höhe von rund -19,3 Mio. Euro. Es wird auf die Entlastung der Gerichte und die Erhöhung der Rechtssicherheit eingegangen mit dem Hinweis, dass das Vorhaben nach fünf Jahren evaluiert werden soll. Die Darstellung der Regelungsfolgen wird vom Nationalen Normenkontrollrat als methodengerecht und nachvollziehbar bewertet, und es werden keine Einwände gegen den Entwurf erhoben.
Der Bundesrat nimmt generell positiv zum Versuch der Effizienzsteigerung in Massenverfahren Stellung, erachtet aber die geplanten Regelungen lediglich als Baustein und sieht allein dadurch eine nur geringe Wirkung entfaltet. Besonders kritisch wird die Notwendigkeit gesehen, dass die Streitfragen den herkömmlichen Instanzenzug durchlaufen müssen, um das Leitentscheidungsverfahren beim Bundesgerichtshof zu erreichen. Der Bundesrat schlägt vor, die Möglichkeit einer Vorlage der entscheidenden Rechtsfrage auch bereits aus der ersten Instanz zu schaffen und fordert ein umfassenderes Konzept zur Bewältigung von Massenverfahren. Des Weiteren wird zur weiteren Entlastung des Gesetzentwurfs für zusätzliche Regelungen plädiert. Abschließend empfiehlt der Bundesrat, ein Zustimmungserfordernis für die Aussetzung von Instanzverfahren zu streichen, da dieses die Wirksamkeit des Entlastungsinstrumentes beeinträchtigt.
Gegenäußerung der Bundesregierung:
Die Gegenäußerung der Bundesregierung bezieht sich auf die Stellungnahme des Bundesrates und nimmt zu dessen Kritik wie folgt Stellung:
- Bei der Nummer 1 weist die Bundesregierung darauf hin, dass der Gesetzentwurf ergänzende Maßnahmen zu anderen Bemühungen um Entlastung der Gerichte darstellt. Hierzu gehören bereits beschlossene Regelungen zur Beweisaufnahme bei Parallelverfahren. Der Gesetzentwurf selbst bleibt trotz weiterführender Maßnahmen und Prüfung durch die Bundesregierung unverändert.
- Bei der Nummer 2 gibt die Bundesregierung an, dass sie in Betracht ziehen wird, ob weitere ergänzende Regelungen, wie sie der Bundesrat anregt, erforderlich sind und bleibt diesbezüglich im Austausch mit den Ländern.
- Für die Nummer 3 sieht die Bundesregierung keinen Anpassungsbedarf am Gesetzentwurf, da die Aussetzung von Verfahren an die Zustimmung der Parteien gebunden bleibt, um die Parteiautonomie im Zivilprozess zu respektieren.
Datum erster Entwurf: | 14.06.2023 |
Datum Kabinettsbeschluss: | 16.08.2023 |
Weiterführende Informationen: | Vorhabenseite des Ministeriums |
„Sogenannte Massenverfahren stellen eine große Belastung für die betroffenen Zivilgerichte dar. Es handelt sich dabei um massenhafte Einzelklagen zur gerichtlichen Geltendmachung gleichgelagerter (Verbraucher-)Ansprüche (z. B. im Diesel-Skandal oder wegen unzulässiger Klauseln in Fitnessstudio-, Versicherungs- oder Bankverträgen). Meist stellen sich in diesen Verfahren die gleichen entscheidungserheblichen Rechtsfragen.
Sind diese Rechtsfragen durch den Bundesgerichtshof höchstrichterlich geklärt, so können gleichlautende Verfahren, die bei den Instanzgerichten noch anhängig sind, anhand dieser Leitentscheidung ohne weiteres zügig entschieden werden. Bisher können etwa durch Rücknahme von Revisionen aus prozesstaktischen Gründen oder aufgrund eines Vergleichs höchstrichterliche Entscheidungen verhindert werden. Ohne eine höchstrichterliche Klärung bleiben die Instanzgerichte jedoch immer wieder mit neuen Verfahren zu gleichgelagerten Sachverhalten belastet. Als ein Baustein für eine effiziente Erledigung von Massenverfahren ist es daher erforderlich, dass auch in Fällen der Revisionsrücknahme oder der sonstigen Erledigung der Revision zentrale Rechtsfragen zügig durch den Bundesgerichtshof geklärt werden können.“
Eingang im Bundestag: | 10.10.2023 |
Erste Beratung: | 09.11.2023 |
Drucksache: | 20/8762 (PDF-Download) |
Plenarsitzungen: | Aufzeichnungen und Dokumente |
Ausschusssitzungen
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Ausschuss | Sitzungsdatum | Tagesordnung (PDF) |
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Rechtsausschuss | 13.12.2023 | Anhörung |
Diese Zusammenfassung wurde mit GPT4 auf Basis des Artikels auf bundestag.de erstellt.
Die Anhörung fand am 13.12.2023 im Ausschuss für Recht statt.
Massengerichtsverfahren unter der Lupe
Thema: Gesetzentwurf zur Einführung eines Leitentscheidungsverfahrens beim Bundesgerichtshof, um effizienter mit der großen Anzahl an Dieselverfahren umzugehen (aktuell 5616 Verfahren).
Kernpunkte und Positionen der Sachverständigen:
Bettina Limberg (Präsidentin des Bundesgerichtshofs):
- Befürwortet das Leitentscheidungsverfahren als notwendige Maßnahme.
- Das Verfahren soll Klärung der Rechtslage ermöglichen und eine schnelle und effiziente Lösung im System des Zivilprozesses darstellen.
- Vorteile: schnellere Entscheidungen für Verbraucher, wirtschaftlich frühere Planungen, Entlastung des Marktes der Sachverständigen.
Peter Allgayer (Bundesgerichtshof):
- Betont das Problem der "Flucht aus der Revision", wenn durch prozesstaktische Gründe höchstrichterliche Entscheidungen verhindert werden.
- Unterstützt das Vorhaben, damit zentrale Rechtsfragen trotz Revisionsrücknahme zügig durch den Bundesgerichtshof erledigt werden können.
Alexander Bruns (Albert-Ludwigs-Universität Freiburg):
- Bewerten den Gesetzentwurf als nicht empfehlenswert.
- Mangelnde Auseinandersetzung mit dem Prozessrechtsvergleich und dem Gewaltenteilungsgrundsatz.
- Kritik an fehlender empirischer Grundlage und Vermeidung von Wunschdenken.
Matthias Engelhardt (Deutscher Richterbund):
- Kritisiert, dass das Leitentscheidungsverfahren hinter den Erwartungen zurückbleibe und nur geringe Entlastung bringe.
- Sieht die Probleme bei der Bearbeitung von Massenverfahren als nicht gelöst an.
Markus Hartung (Legal Tech Verband Deutschland):
- Begrüßt im Prinzip die Initiative als notwendig für einen modernen digitalen Rechtsmarkt.
- Kritisiert jedoch, dass der Gesetzentwurf nicht umfassend durchdacht sei und Webfehler enthalte.
Charlotte Rau (Oberlandesgericht Frankfurt am Main):
- Sieht das Gesetz als guten Baustein, wenn es kombiniert wird mit der Möglichkeit zur Aussetzung der vielen Verfahren bei den Instanzgerichten.
- Andernfalls gäbe es kaum Entlastung für die Arbeit der Instanzgerichte.
Bettina Rentsch (Freie Universität Berlin):
- Unterstützt das Leitentscheidungsverfahren gegen strategische Präjudizverweigerung.
- Fordert Verbesserungen im Gesetzentwurf, um die Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit in Massenprozessen zu erhöhen.
Michael Schultz (Bundesrechtsanwaltskammer):
- Unterstützt das Ziel des Gesetzentwurfs, aber kritisiert das Fehlen konkreter Zahlen über Massenverfahren und deren Auswirkungen.
- Fordert ein schlüssiges Gesamtkonzept für den Umgang mit Massenschäden und daraus resultierenden Klagen.
Gesetztyp: | Einspruchsgesetz |
Drucksache im BR: | 375/23 |
Eingang im Bundesrat: | 18.08.2023 |
Erster Durchgang: | 29.09.2023 |